Alle 68 Sekunden wird in Deutschland eine Frau Opfer einer Gewalttat - in den allermeisten Fällen von einem Mann ausgeübt. „Wir können nicht hinnehmen, dass von drei Mädchen statistisch gesehen eines im Laufe ihres Lebens Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt wird”, unterstreicht VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie ist die Schirmpatin der Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“, die auf Initiative des Vereins „One Billion Rising München“ am Dienstag (25. November) stattfindet.
Nach dem aktuellen Bundeslagebild Häusliche Gewalt des Bundeskriminalamts wurden 2024 in Deutschland knapp 266.000 Fälle häuslicher Gewalt gemeldet. Das ist ein neuer Höchststand. 70,4 Prozent der Opfer sind weiblich. Wie schon in den Vorjahren waren die meisten Opfer von Partnerschaftsgewalt (64,3 %). 35,7 % waren innerfamiliärer Gewalt ausgesetzt. 328 Frauen und Mädchen wurden umgebracht, 531 überlebten einen Angriff auf ihr Leben.
Bereits zum fünften Mal startet die gemeinsame Aufklärungskampagne von One Billion Rising München mit der Bäcker-Innung München, Landsberg und Erding. Sie setzt auf Aufklärung im Alltag – mit 250.000 Brötchentüten, die auf Hilfsangebote und Wege aus der Gewalt aufmerksam machen.
Der Gedanke hinter der Tüten-Aktion: Menschen jeden Alters und aus allen gesellschaftlichen Schichten zu erreichen – denn zum Bäcker geht fast jeder. Die Münchner Aktion ist Teil einer deutschlandweiten Kampagne „Gewalt kommt nicht in die Tüte“, die in zahlreichen Städten und Regionen am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, umgesetzt wird, um öffentlich auf geschlechtsspezifische Gewalt im sozialen Nahraum aufmerksam zu machen.
Rund 250.000 Brötchentüten mit Telefonnummern und Kontakten zu regionalen Hilfsangeboten werden in 200 Bäckereifilialen verteilt. Heinrich Traublinger, Obermeister der Bäcker-Innung München, Landsberg und Erding, betonte: „Wir müssen zusammenstehen und ein Zeichen setzen. Wir wollen darauf hinwirken, dass das Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder nicht totgeschwiegen wird.“
Nicht darüber zu sprechen, begünstige Gewalt und gebe den Tätern Raum, sagte Verena Bentele. Sie rief dazu auf, Gewalt gegen Mädchen und Frauen nicht länger zu verharmlosen: „Gewalt gegen Frauen ist kein Privatproblem der Betroffenen, sondern ein gesellschaftliches Problem, das alle angeht. Alle Frauen haben das Recht auf ein gewaltfreies Leben.” Ein besonderes Anliegen ist dem Sozialverband VdK Bayern, auf die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderung aufmerksam zu machen. „Diese erfahren zwei- bis dreimal häufiger Gewalt als der Bevölkerungsdurchschnitt”, so Bentele. „Es gibt immer noch viel zu wenige Anlaufstellen und konkrete Hilfsangebote für sie. Kaum ein Frauenhaus ist barrierefrei oder kann Frauen mit Pflegebedarf aufnehmen. Wir fordern, mehr Angebote für diese besonders von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen zu schaffen.“
Mit dem „Gewalthilfegesetz“ sei ein wichtiger Schritt getan worden. Nun müsse es aber schnellstens greifen. Der Rechtsanspruch auf Schutz und fachliche Beratung für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder soll erst 2032 in Kraft treten. „Das ist zu spät!”, so Bentele, „sie brauchen jetzt Schutz, Beratung und ausreichend Plätze in Frauenhäusern.“
„Wir freuen uns sehr, dass wir bei unserer Aktion ‚Gewalt kommt nicht in die Tüte‘ in und um München von engagierten Organisationen unterstützt werden, die sich für eine positive Veränderung in unserer Gesellschaft einsetzen”, erklärte Romy Stangl, Vorstandssprecherin von One Billion Rising München. „Wir leben in einem Land, das jedem Menschen durch das Grundgesetz die Unantastbarkeit seiner Würde, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert. Doch hinter verschlossenen Wohnungstüren – abseits der öffentlichen Wahrnehmung – widerfährt Frauen in all ihrer Vielfalt Gewalt. Sie werden geschlagen, getreten, verletzt, vergewaltigt und gedemütigt.”
Geschlechtsspezifische Gewalt im sozialen Nahraum werde in unserer Gesellschaft häufig als individuelles Problem wahrgenommen – als etwas, das „da draußen“ geschieht, weit weg von uns. „Es ist unerlässlich, das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in all ihrer Vielfalt zu schärfen, denn in Deutschland ist jede dritte Frau irgendwann in ihrem Leben davon betroffen. Wir müssen Zivilcourage fördern, Gleichgültigkeit vermeiden und Sensibilisierung vorantreiben, Gewaltschutz, Hilfe- und Beratungsstellen für Betroffene, sowie Präventionsangebote flächendeckend ausbauen”, so Stangl. „Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Bekämpfung von Gewalt verlangt entschlossenes Handeln von uns allen. Mit unserer Aktion möchten wir Austausch fördern, Transparenz schaffen, über Hilfs- und Schutzangebote informieren und Zivilcourage fördern. Wir möchten Betroffene sagen: 'Du bist nicht allein!'”, so Romy Stangl.
Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge kündigte Gesetzreformen an, um Frauen (und ihre Kinder) besser zu schützen. „Wir brauchen flächendeckenden Gewaltschutz, ausreichend finanzierte Frauenhäuser, elektronische Fußfesseln für Gefährder und ein konsequentes Vorgehen gegen Femizide”, sagte sie. „Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache – sondern ein Angriff auf unsere Gesellschaft.“ Die Koalition sei sich bei diesen Reformvorhaben sehr einig. Man werde zudem konsequenter gegen digitale Gewalt vorgehen und den Mordparagraphen ändern, um Femizide besser ahnden zu können: Wenn ein Mann eine Frau umbringt, weil sie sich von ihm trennt oder er sie als seinen „Besitz” betrachtet, werde das nicht mehr als Totschlag, sondern als Mord bewertet.
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am Dienstag, 25. November, setzt der Sozialverband VdK Bayern mit verschiedenen Aktionen ein deutliches Zeichen. Morgens um 8 Uhr verteilt VdK-Landesvorsitzende Verena Bentele Brezen vor der VdK-Landesgeschäftsstelle (Schellingstraße 31 in München) in Aktionstüten der Bäcker-Innung München, Landsberg und Erding mit Informationen zu Hilfsangeboten für Betroffene. Die Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ findet auf Initiative des Vereins „One Billion Rising München“ statt.
Zusätzlich finden in München von 8 bis 10 Uhr und ab 16 Uhr vor der VdK-Landesgeschäftsstelle Aktionen für Passantinnen und Passanten statt. Abends wird das VdK-Gebäude in der Schellingstraße 31 mit Videoinstallationen angestrahlt und in der Farbe des Aktionstags orange ausgeleuchtet. VdK-Ehrenamtliche organisieren in ganz Bayern Veranstaltungen zum Thema, nehmen an Kundgebungen teil und geben Informationen zu Hilfsangeboten weiter. Mit über 430.000 weiblichen Mitgliedern ist der Sozialverband VdK eine der größten und wichtigsten Frauenorganisationen in Bayern.