Am vergangenen Wochenende hatte ich ein Erlebnis, das mich tief bewegt hat – und das mich nicht mehr loslässt. Ich war in der Stadt unterwegs, als mir eine ältere Dame auffiel. Sie hatte eine Schiene am Fuß, stützte sich auf Krücken und machte nur sehr wackelige Schritte. Man sah ihr an, dass jeder Meter eine Anstrengung war. Während ich sie beobachtete, fiel mir auf, wie viele Menschen einfach an ihr vorbeigingen. Einige warfen vielleicht einen kurzen Blick, die meisten jedoch sahen sie gar nicht – die Augen auf das Handy gerichtet, den Kopf gesenkt, in Gedanken ganz woanders.
Ich blieb einen Moment stehen und konnte nicht verstehen, warum niemand anhielt. Warum niemand fragte, ob sie Hilfe braucht. Also ging ich zu ihr hinüber und sprach sie an. Sie erzählte mir, dass sie sich nicht gut fühle, aber nach Hause wolle. Mein Mann war bei mir, und wir boten an, sie zu fahren. Sie war dankbar, willigte ein – doch noch bevor wir losfahren konnten, kippte sie plötzlich um.
Zum Glück konnten wir sie auffangen. Einen Krankenwagen wollte sie zunächst nicht, sie wollte einfach nur nach Hause. Also brachten wir sie dorthin. Doch kaum angekommen, verlor sie auf der Treppe erneut das Gleichgewicht. Wir riefen schließlich doch den Rettungsdienst. Die Dame, 92 Jahre alt, war sichtlich erleichtert, dass wir da waren – dass jemand sich gekümmert hatte.
Diese Begegnung hat mich sehr nachdenklich gemacht. Wie viele von uns gehen Tag für Tag mit Scheuklappen durch die Welt? Wie oft schauen wir weg, wenn jemand offensichtlich Hilfe braucht – vielleicht, weil wir es eilig haben, oder weil wir glauben, jemand anderes würde schon eingreifen? Dabei kostet es so wenig, einfach zu fragen: „Kann ich Ihnen helfen?“ Es ist keine Frage, die Zeit raubt, sondern eine, die Leben verändern kann – manchmal sogar retten.
Helfen ist keine große Geste. Es ist Menschlichkeit. Es ist Mitgefühl. Und es ist etwas, das uns alle betrifft. Denn eines Tages könnten auch wir diejenigen sein, die auf eine helfende Hand angewiesen sind.
Diese Erfahrung hat mir noch einmal deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Nicht wegzusehen. Nicht zu warten, bis andere handeln. Sondern einfach selbst etwas zu tun. Es ist ein kleiner Schritt – und doch kann er für jemanden alles bedeuten. Eine ausgestreckte Hand, ein freundliches Wort, ein kurzer Moment der Aufmerksamkeit.
Wir sollten mehr aufeinander achten, dann wird unsere Gesellschaft vielleicht ein Stück besser. Helfen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Es zeigt, dass wir fühlen, dass wir sehen, dass wir da sind – füreinander. Und genau das macht uns zu Menschen.